Prävalenz
Immer häufiger äußern Lehrkräfte an Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung, dass der Anteil von Schüler*innen mit emotionalen und sozialen Verhaltensauffälligkeiten in den letzten Jahren zuzunehmen scheint 1. Franz spricht bei diesem neuen Klientel von „Grenzgängern“, also Schüler*innen, die sich von der klassischen Schülerschaft dadurch abgrenzen, dass sie kognitiv leistungsstark sind, aber erhebliche soziale und emotionale Probleme aufweisen 2.
Bei einigen von ihnen liegen psychische Störungen zugrunde, die bei Menschen mit einer geistigen Behinderung wesentlich häufiger vorkommen als in der Allgemeinbevölkerung. Die Weltgesundheitsorganisation geht von einem drei- bis viermal höheren Risiko aus 3.
Die empirisch erhobenen Prävalenzraten variieren stark, unter anderem weil aufgrund mangelnder standardisierter Diagnostikinstrumente auf subjektive Eindrücke von Bezugspersonen zurückgegriffen wird 4.
Zusätzlich eingeschränkt wird die Vergleichbarkeit der Studien durch eine nicht trennscharfe und nicht einheitliche Verwendung der zugrunde liegenden Begrifflichkeiten und Kriterien 5.
Klinische Longitudinalstudien weisen darauf hin, dass psychische Störungen bei Kindern mit einer geistigen Behinderung meist schon im Kindesalter beginnen und bis ins Erwachsenenalter persistieren 6. So lässt sich eine erhöhte Vulnerabilität bereits bei zwei- bis vierjährigen Kindern zeigen 7. Während der Pubertät steigt das Risiko eine psychische Störung zu entwickeln jedoch an, sowohl bei Kindern ohne Behinderung als auch in abgeschwächter Form bei Kindern mit geistiger Behinderung 6.
Weitestgehende Einigkeit besteht zudem darüber, dass sich das Risiko eine psychische Störung zu entwickeln bei Menschen mit schwerer geistiger Behinderung im Vergleich zu Personen mit leichter geistiger Behinderung nochmals zu verdoppeln scheint 5.

Welche Störungen treten auf?
Bezüglich der beobachteten Störungsbilder stellte Emerson Störungen des Sozialverhaltens (25%), emotionale Störungen (9,5%), hyperkinetische Störungen (8,7%) und Angststörungen (8,7%) als die häufigsten Störungsformen heraus 12.
Schanze unterstreicht überdies in einer Metaanalyse die in allen Erhebungen erhöhten Prävalenzraten für Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis, bipolare affektive Störungen und Aufmerksamkeitsstörungen 4.
Bei zunehmender Schwere der geistigen Behinderung scheint sich das Störungsspektrum zunehmend von denen bei nicht behinderten Kindern zu unterscheiden: Selbstverletzungen, Stereotypien 13 und zwanghafte Verhaltensweisen werden häufiger beobachtet 6.